28.6.06

HOK Lesen: Suchen und Finden: EPIC 2015

Beim RSS abgrasen und ziellosen Rumsurfen (Serendipity!) stiess ich bei tagesschau.de auf die Meldung zum Rechtsstreit darüber, ob Google frei Bücher einscannen darf (Google darf, wir hatten es schon mal (kurz) von Googles Projekt, die gesamten (?) Buchbestände der Welt zu digitalisieren und online verfügbar zu machen). In Sicht- und Klickweite fand ich eine Multimedia-Box zu Google. (Es gibt ja kaum noch ein Mainstream-Medium, dass uns nicht die neue "Macht Google" unter die Nase reibt. Dank dem Stern-Cover weiss jetzt selbst meine Mutter, die sogar die elektrische Schreibmaschine mit spitzen Fingern anfasst und PC und Internet nur vom Hörensagen kennt, von den Gefahren, die vom aufkommenden Monopol Google's ausgehen werden.)
Besagte Multimedia-Box zeigt also eine weitere Mainstream-Sicht auf den Internet-Giganten: etwas melodramatisch mit bedeutungsschwanger tönenden Off-Texten unterlegt, krawattentragende Bedenkenträger vor zahlreichen Bildschirmen (scheint die Medienkompetenz des Sprechers zu verstärken), als "Computeranimation" gekennzeichnete Computeranimationen (man könnte ja den Eindruck erwecken, dass richtige Roboter aus Blech und Stahl die Informationen im Internet zusammentragen) - aber auch ein paar bemerkenswerte, in der Vereinfachung überraschend klare Aussagen: G-mail mit dem Empfehlungssystem rekonstruiert soziale Netze, Googles Geldmaschine AdSense mit genau platzierten Anzeigen lädt ein zum "Click-Fraud"usw.
Richtig spannend ist aber der Schluss-Hinweis auf eine Arbeit des imaginären Museum for Media History in Florida aus dem Jahr 2014 (dahinter stecken die Autoren Robin Sloan und Matt Thompson verfasst wurde): ein Blick in die Zukunft, in der das fusionierte Unternehmen Googlezon (aus Google und Amazon) Microsoft *und* die New York Times aus dem Markt verdrängt und mit EPIC den neuen optimalen Informations-Agenten eingeführt hat (deutsche Version - ausserdem gibt es eine neuere englische Version). Brave New World des beginnenden 21. Jahrhunderts: Gerne würde ich das genauer analysieren (oder hat das schon wer? Hinweise erbeten). Bahnbrechend neu ist das Filmchen nicht: Diskutiert wurde es bereits (Übersicht beim Blog von Sloan und Thompson) und eine Geschichte der Entstehung und Beweggründe ist auch bereits im Netz zu finden, ebenso (natürlich) eine Wikipedia-Eintrag. Die New York Times hat angeregt durch den Film eine eigene Version von Google 2084 (sic!) entworfen.

Historische-Online-Kompetenz-Relevanz?
  • Wikipedia kann nicht von Google gekauft werden - uff. Aber muss es das überhaupt? Wikipedia taucht ohnehin bei vielen Suchbegriffen zuoberst auf. Wer hilft da wem?
  • Im Vergleich zu den Strukturen bei Google ist Wikipedia (trotz allen Vorbehalten) ein Ausbund an Transparenz und Mitbestimmung! (Zitat Hendrick Speck aus der Mediabox der Tagesschau zur Problematik des geheimen Such- und Ranking-Mechanismus: "Google entspricht damit einer Bibliothekarin, die unkontrollierbar, nach welchen Kriterien auch immer, nach eigenem Gutdünken, Ihnen als Nutzer Bücher zuteilt oder entsprechend vorenthält, und Ihnen dafür natürlich keine Rechenschaft in irgend einer Art und Weise ablegt." - Bitte keine spöttischen Kommentare, diese Beschreibung komme der Wirklichkeit in Ihrer örtlichen Bibliothek ziemlich nahe...)
Nachtrag: Passend zur momentan grassierenden Google-Skepsis ("Is Google the new Microsoft?") die vorgängige Meldung von Cnet.News zum neuen Internet-Zahlungssystem "checkout", das Google diese Woche vorgestellt hat: "Open your wallet to Google". Pikant, dass das neue Zahlungssystem vor allem als Kampfansage an Amazon (der "zon"-Teil von Googlezon) interpretiert wird. Ein Interview dazu mit (aha!) Hendrik Speck.

Übrigens: Blogger gehört auch Google...

Übersicht: HOK Lesen: Suchen und Finden

23.6.06

Aus der Welt der Wikis: Wer regiert Wikipedia?

Ich stiess bei der Lektüre eines Artikels der New York Times über die Veränderungen der Editier-Regeln bei Wikipedia auf eine grundsätzliche Frage, die sich mir bis anhin nur am Rande gestellt hatte. Welche Rolle spielen die Administratoren bei der Entwicklung dieses grossen Online-Projekts? Zwar dürfen alle und jede und jeder in Wikipedia mitschreiben. Doch die meisten überlassen diese Arbeit lieber der aktiven Community von ca. 1000 Autor/innen, aus welchen sich auch die Administratoren rekrutieren. Diese haben grosse redaktionellen Rechte und werden eigentlich nur von sich selber kontrolliert. Die Organisationsstruktur lässt offen, wie Beschwerden geführt werden könnten (ausser, man wendet sich direkt an den Gründer Jimmy Wales). Es gibt zwar eine Art Schiedsgericht (zumindest für das englisch-sprachige Wiki) es wird auf Wikipedia aber nicht klar, wie man an dieses Schiedsgericht gelangen soll und für welche Konflikte es zuständig sein soll.
Diese Erkenntnis (ich gestehe es ein) ist nicht sonderlich originell - dafür wird die Auseinandersetzung über den oligarchischen Charakter von Wikipedia (und andere Fragen, was Wikipedia sein soll und was nicht) schliesslich schon auf Wikipedia selbst verhandelt.

Irgendwie erinnert mich das an alte Tage von Studierenden-Streiks, als sich Studierenden-Räte bildeteten und letztlich das Prinzip galt: "Wer sich interessiert und engagiert ist legitimiert" und "wer den längsten Atem hat, setzt sich durch". Das habe ich hier auch schon in anderem Zusammenhang zu Wikis angemerkt. Mir fehlt eine durchdachte Analyse dieses Aspekts von Legitimität in offenen Publikationssystemen. Weiss da jemand mehr? Hinweise willkommen.

Übersicht: Aus der Welt der Wikis

Neues aus der Welt der Wikis: Wiki auf dem Weg in den Mainstream?

Technology Review berichtet davon, wie verschiedenen Startup-Unternehmen versuchen, Wiki in den Mainstream zu bringen und damit Geld zu verdienen. Wikis sollen demnach so einfach und populär werden wie Blogs, die Online-Tagebücher. Die Firma Wetpaint beispielsweise bietet eine Umgebung, in der sich Interessierte auch ohne Wiki-Kenntnisse ein eigenes Wiki zusammenschustern können: Template-Wizards sind ebenso vorhanden wie clevere Helferlein, die beim Formatieren und Verlinken helfen. Allerdings können (wie bei anderen Wikis übrigens auch) nicht alle Teile eine Seite editiert werden.

Im Gegensatz zu Writely.com (wir hatten es schon mal davon), das vor allem auf das gemeinsame Verfassen von Texten abzielte (mittlerweile von Google gekauft und im Ruhezustand bis Juli - wenn man dem writely-blog glauben schenken darf), bietet Wetpaint wirklich eine Einfach-Version von Wikis: Websites, die von Gruppen hergestellt und gepflegt werden können. Hier verschwimmen die Grenzen zu Blog-Angeboten und zu einfachen Ausprägungen von Web-Content Management Systemen (die aber von Mainstream-Usern noch nicht selber installiert und konfiguriert werden können). Vielleicht wird das in nicht allzu ferner Zukunft ohnehin konvergieren.

Doch letztlich bleibt die Frage, ob das Angebot von Wetpaint oder anderen Konkurrenten attraktiv und einfach genug und das Bedürfnis der Mainstream-User nach kollaborativem Arbeiten auf dem Netz wirklich gross genug ist, um diesem Business-Modell Grundlage zu bieten.

Übersicht: Aus der Welt der Wikis - HOK Schreiben

16.6.06

HOK Lesen: Quellen: Wikipedia und die Geschichtswissenschaften

Die offensichtliche Frage, inwiefern Wikipedia für den Gebrauch in den Geschichtswissenschaften geeignet ist, ist hier noch nie explizit gestellt worden. Die Überlegungen zum Prinzip der Wikis und zu Wikipedia waren eher allgemein gehalten.

Im Nachgang der Fertigstellung meines Textes zu "hist.collaboratory" (ein Torso, bzw. die allererste Anfangsfassung ist hier zu finden) wurde ich von Kollege Peter Haber, der meinen Beitrag redigiert, auf diese Frage gestossen.

Dass ich nun erst jetzt diese Frage direkt behandle, weist darauf hin, wie heikel dieses Thema (zumindest in meinen Augen) zu sein scheint: Die Vorstellung, dass jede Person die Einträge dieses Nachschlagewerks nach Lust und Laune verändern kann, widerstrebt den meisten Historiker/innen. Sie lassen es kaum als wissenschaftliche Informationsquelle gelten und mögen sich auch nicht als Autor/innen engagieren. (Wobei ich bereits einige Autor/innen in Wikipedia entdeckt habe, die sich als Historiker mit Hochschulabschluss zu erkennen geben - obwohl dies allein noch nichts über die Qualität der Einträge aussagt).

Die erste (und einzige mir bislang bekannte) Besprechung von Wikipedia in den Geschichtswissenschaften lief bei H-Soz-Kult und bezog sich auf die CD-ROM-Version vom Frühling 2005. Die Rezension widmete sich drei (!) Artikeln, die sich mit geschichtswissenschaftlichen Themen befassten: "Investitur-Streit", "Historiker-Streit" und "Merkantilismus". Dabei fand Rezensent Björn Hoffmann einige inhaltliche und formale Unstimmigkeiten und schwere Mängel.
Beispiel Merkantilismus: Waren die beiden ersten Stichproben zumindest nicht grob falsch, kann man das von vielen Formulierungen des Artikels zum Merkantilismus nicht mehr behaupten, der Merkantilismus wird hier als „vorherrschendes Wirtschaftssystem im Zeitalter des Absolutismus“ bezeichnet. (...) Hier wird der Eindruck erweckt, dass es sich beim Merkantilismus um ein einheitliches Wirtschaftssystem gehandelt habe (...). Das Gegenteil ist der Fall und in der historischen Forschung besteht darin auch kein Zweifel, dass der Begriff des Merkantilismus letztlich nur sehr unterschiedliche praktisch-wirtschaftspolitische Maßnahmen in Europa bezeichnen kann.
Wie schwierig es ist, Kritik an Wikipedia zu üben, weil Fehler schnell ausgemerzt werden können (und oft auch werden) zeigt eine Durchsicht der Artikel im Juni 2006. Die meisten von Schäfer kritisierten Mängel im Wesentlichen sind behoben und in den betreffenden Einträgen sind seit Mai 2005 jeweils über 100 Veränderungen vorgenommen worden (auch wenn diese Änderungen oft nur kleinere Tippfehlerkorrekturen waren). So heisst der erste Satz im Artikel Merkantilismus (am 14. Juni 2006):
Merkantilismus ist ein nachträglich verliehener Begriff für ein Sammelsurium verschiedener wirtschaftspolitischer Ideen und Politiken, welche sowohl geldpolitische als auch handels- und zahlungsbilanztheoretische, aber auch finanzwirtschaftliche Ansätze verbinden.
Im Mai 2005 begann der Artikel noch so (Version vom 9. März):
Der Merkantilismus (lat. mercator - Kaufmann) war das vorherrschende Wirtschaftssystem im Zeitalter des Absolutismus (16.–18. Jahrhundert). Er löste die mittelalterliche Zunft- und Stadtwirtschaft ab und ist verbunden mit der Herausbildung homogener Volkswirtschaften.
Kritik an Wikipedia ist deswegen nicht obsolet: Auch die aktuelle Version lässt noch zu wünschen übrig. Aber Kritik ist m.E aus verschiedenen Gründen schwer anzubringen:
  • Fehler werden schnell korrigiert und Mängel behoben, folglich veraltet die Kritik ebenso schnell.
  • Jede Kritik muss sich mit der Wikipedia-Aufforderung "Dann verbessere es doch!" auseinandersetzen. Das ist sonst bei Kritik an geschichtswissenschaftlichen Texten weder üblich noch möglich.
  • Die unglaublich Menge an Einträgen (die sich auch dauernd ändern) zu Themen der Geschichte und der Geschichtswissenschaften machen eine fundierte Analyse, die mehr als drei zufällig ausgewählte Artikel bewertet, ausserordentlich schwer.
  • Bei der Analyse ist zudem immer die Referenz zu berücksichtigen: Muss Wikipedia so gut sein wie die "Geschichtlichen Grundbegriffe", wie der "Brockhaus" oder einfach besser als das Suchergebnis bei Google?
Letzters möchte ich kurz am Beispiel des Begriffs "Historische Anthropologie" (Version vom 8. März 2006) erläutern: Inhaltlich ist der Eintrag (selbst für ein Lexikon) etwas mager, dafür listet er relevante Literatur zum Thema auf. Und das ist auf jeden Fall mehr, als was sonst im Internet zu diesem Thema zu finden ist.

Eine weitere Analyse von Wikipedia im Hinblick auf den wissenschaftlichen Nutzen für die Geschichte wäre noch zu leisten. Ich werde hier mal ein bisschen weiter daran rumdenken. Kommentare und Hinweise sind gerne willkommen!

Übersicht: HOK Lesen: Quellen - Aus der Welt der Wikis

13.6.06

HOK Reden: Was setzt sich durch?

Eine Frage, die uns Historiker/innen eigentlich nicht weiter zu kümmern braucht - aber zumindest mich interessiert: welche Technologien, die momentan hochgejubelt werden, setzen sich auf die Länge durch? Einer meiner beliebten Beispiele für Versager-Technologie ist die Hochleistungs-Übertragungs-Technologie für Mobiltelefonie (UMTS) seit Jahren als "the next big thing" angekündigt wurde (und wird) und bei den öffentlichen Konzessionsversteigerungen auch ganz schön viel Geld in die Staatskassen verschiedener Nationen gespült hat. Durchgesetzt hat sich die Technologie (noch?) nicht.

Aber eben - was heisst schon "durchgesetzt"? Gut, der PC hat sich durchgesetzt. Und MS Windows. Und das Internet. Aber ist Podcasting nur ein Modephänomen? Und Blogging, Wikipedia/Wikis, Skype? Ab wievielen Millionen User/innen hat sich eine Technologie durchgesetzt? Oder ist die Nutzung durch "technologieferne" Benutzer/innen ein Merkmal? Oder dass ein Unternehmen echtes Geld mit einer Technologie verdient? Oder entscheidet letztlich das eigene Nutzungsverhalten die Einschätzung?

Zum Thema Skype meinte heute der 10-jährige Sven in seiner täglichen Technik-Kolumne in "Heute":
Skype ist gratis und läuft übers Internet. Dafür braucht man viel mehr Geräte, als wenn man normal telefoniert.
Stimmt natürlich - aber da wir eben ohnehin die ganze Zeit online sind... (oder sind "wir" das nicht?).

Übersicht: HOK Reden

12.6.06

HOK Lesen: Quellen: Podcasts?

Während die E-Learning-Szene noch darüber rätselt, was Podcasts als Unterrichtsmittel bringen kann (bzw. was damit genau gemeint ist), sind die Politikerinnen (und Politiker) da schon entschiedener von den Möglichkeiten dieser neuen Kommunikationsform überzeugt. Seit Tagen ist der "Kanzlercast" von Angela Merkel in deutschen (Online)-Medien ein Thema (unter anderem, weil der Podcasts auf gewissen Windows-Konfigurationen nicht problemlos abspielbar ist). Peinliche Anbiederung einer verzweifelten Regierungschefin an ein Neues Medium, um "cool" zu wirken und neue Wählerschichten zu erreichen? Oder cleverer Schachzug einer permanent unterschätzten Politikerin, die die Zeichen der Zeit vor allen anderen Kolleginnen (und Kollegen) erkannt hat? Oder sogar langfristiger Trend der konsequenten Nutzung neuer Kommunikationsmittel durch konservative politische Parteien?

Währenddessen schlägt in den USA ein ganz anderer Fall hohe Wellen: Robert Scoble, eine bekannt Grösse in der Blogosphäre (natürlich mit eigenem Wikipedia-Eintrag), hat angekündigt, Microsoft zu verlassen und zu einer Firma namens PodTech.Net zu wechseln. Warum kümmert das die Blogosphäre? Scoble führte einen Blog (Scobleizer), in dem er offen über die Vorgänge bei Microsoft aus eigener Sicht schrieb. Er genoss innerhalb der Blogosphäre grosses Vertrauen (was für Microsoft-Angestellte eher selten ist). Obwohl er gegenüber seinem Arbeitgeber immer recht positiv urteilte, schossen nun Vermutungen ins Kraut, Scoble sei von Microsoft zum Abschied gedrängt worden - was dieser ausdrücklich dementiert. Warum das hier in hodel-histnet-blog auftaucht? Scoble verlässt Microsoft (einer der gewichtigsten Firmen der Welt) für ein Unternehmen, dass nichts anderes tut, als (Video-)Podcasts zu produzieren: zu wirtschaftlichen und technologischen Themen aus der Informatik- und Kommunikationsbranche.

Mir stellt sich dabei nicht nur die Frage: Wird sich Podcast als neues Medium (für Audioaufnahmen und auch für bewegte Bilder) durchsetzen - will sagen: entsteht da eine Branche, die mit Podcasts Geld verdienen kann? Sondern auch: handelt es sich hier - geschichtswissenschaftlich gesehen - um eine neue Quellengattung? Oder ist das nur "alter Wein in neuen Schläuchen", mit anderen Worten: handelt es sich einfach um ein neues Distributionsum für Radio- und Fernsehsendungen? Oder sind hier Unterschiede nicht nur in der Nutzung (die sind ja gegeben), sondern auch in der Gestaltung von Inhalt und Form und mithin auch in der Wirkung gegeben? Die gleiche Frage lässt sich wohl auch für viele andere Angebote im Internet stellen: Wikipedia, Blogs, Diskussionsforen, Suchmaschinen? "More of the same" oder wirklich etwas Neues?

Fussnote: der Merkel-Cast ist bereits in iTunes auffindbar und dort schon auf Positition 24 gewandert.


Übersicht: HOK Lesen: Quellen